Der Jahreskreis – im Rhythmus der Natur leben

Der Jahreskreis – im Rhythmus der Natur leben

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Verbindung statt Entfremdung: Warum wir den natürlichen Kreislauf wieder spüren sollten
Von Tanja Richter

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FOLGEN DER ENTFREMDUNG VON DER NATUR

Viele von uns haben sich – teils bewusst, teils unbewusst – von der Natur und ihren Rhythmen entfremdet.
Wir wollten nicht „primitiv“ erscheinen, sondern modern, fortschrittlich, zivilisiert. Die Industrialisierung, die strikte Taktung von Arbeitszeit, Schule und Alltagsleben haben das ihre dazu beigetragen. Und das hat nicht nur ökologische, sondern auch menschliche Folgen.

Doch es geht bei der Entfremdung von der Natur nicht nur darum, dass es uns dadurch viel leichter fällt, unsere Lebensgrundlage zu zerstören. Es geht auch um viele Aspekte dabei, die uns Menschen viel direkter betreffen. So wissen manche Kinder, die nie aus ihren Stadtteilen herausgekommen sind, vielleicht tatsächlich nicht mehr, woher Milch kommt oder was z.B. Schnittlauch ist.

Durch die Möglichkeit, jederzeit das Licht anschalten und im Supermarkt zu jeder Jahreszeit alles kaufen zu können, ist es einfach nicht mehr nötig, sich im Einklang mit den Rhythmen zu bewegen. So nennen wir z.B. Müdigkeit im Herbst und Winter Herbst- bzw. Winterdepression oder auch den Herbstblues. Für mich beginnt im Herbst einfach die Höhlenzeit.

Wenn wir uns selbst als Teil der Natur begreifen würden – und nicht nur als Funktionsträger in einem durchgetakteten Wirtschaftssystem – wäre uns vielleicht klarer, dass die dunkle Jahreszeit eine Zeit des Rückzugs und der Einkehr ist.

Müdigkeit, Rückzug, das Nachlassen von Leistungsdrang wären dann nichts „Krankhaftes“, das es zu überwinden gilt – sondern Ausdruck jener stilleren Energie, die auch in der Natur überall spürbar ist.

Pflanzen ziehen sich zurück, Tiere halten Winterschlaf.

Warum sollten wir als Menschen den Jahreskreis nicht ebenso in uns tragen?

Die Kräfte der Natur wirken in uns, selbst wenn wir sie oft nicht bewusst wahrnehmen.

Vielleicht spüren wir sie noch, wenn uns im Herbst die Müdigkeit überkommt oder wir im Frühling von einer sehnsuchtsvollen Leichtigkeit erfasst werden. Doch statt diese Impulse als Teil von uns zu erkennen, suchen wir die Ursachen im Außen.

Wir leben gegen unseren Körper, gegen unsere inneren Rhythmen und wundern uns über Erschöpfung.
Für mich entsteht Depression nicht durch Lichtmangel, sondern durch die Zwänge, in denen wir leben und durch die schmerzliche Unmöglichkeit, unseren inneren Impulsen zu folgen.

Ich frage mich immer wieder: Wie würde es sich anfühlen, wenn wir unsere Wirtschaft an den Rhythmus der Natur anpassen würden? Wenn Unternehmen dem Jahreskreis folgen mit Phasen der Aktivität und der Einkehr, so wie es die Natur vormacht?

Auch heute gibt es noch Bereiche, in denen dieser Rhythmus zumindest teilweise spürbar ist: Die Landwirtschaft richtet sich nach den Jahreszeiten, und auch im Baugewerbe ruht vieles im dunklen, kalten Winter.

Aber das, was ich meine, ist mehr als nur weniger zu arbeiten. Es geht darum, die Natur als Taktgeberin zu begreifen und mit ihr zu fließen, statt gegen oder ohne sie zu arbeiten.

Denn die Energien, die in der Natur unterwegs sind, bewegen sich auch in uns. Wenn wir unsere Schöpferkraft im Einklang mit diesen Kräften leben, wird sie klarer, kraftvoller, freier. Unsere Arbeit wird dann nicht nur wirksamer – sie wird lebendiger, natürlicher und verbundener.

UNSER AUSFLUG IN DIE RATIO UND WAS WIR IHR VERDANKEN

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die meinen, früher sei alles besser gewesen. Wenn ich an das Mittelalter denke, dann denke ich an Krankheit und frühes Sterben, an harte, unfreie Lebensbedingungen für viele Menschen, an Hexenverfolgung, Folter, Todesstrafen, Willkür und Gewalt. Nein, dahin will ich nicht zurück.

Im Gegenteil: Ich bin jeden Tag dankbar für die Technik und die Errungenschaften unserer Zeit. Zum Beispiel liebe ich meine Waschmaschine. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste meine Wäsche im Nord-Ostsee-Kanal waschen, tun mir allein bei dem Gedanken die Hände weh.

Unser jahrhundertelanger Ausflug in die Ratio hat uns vieles ermöglicht: Wir konnten beginnen, Zusammenhänge zu erkennen und auf naturwissenschaftliche Weise zu erklären – Wissen, das früher nur wenigen zugänglich war, wurde so nach und nach Allgemeingut.

Durch die heutigen Möglichkeiten der Fortbewegung können wir wahrnehmen, wie klein die Erde ist, haben wir begonnen über Kontinente hinweg zusammen zu arbeiten und zu wirken. Wir können nicht nur spüren, das wir alle verbunden sind, sondern wir können es auch sehen, wenn wir denn hinschauen.

Ich glaube an Zyklen. Nicht nur in der Natur, sondern auch in unserer kulturellen und geistigen Entwicklung.
So war es vielleicht notwendig und heilsam, dass wir unseren Fokus eine Zeit lang vom Glauben, der oft durch Institutionen wie die Kirche zur Manipulation und Machtausübung genutzt wurde, hin zur Wissenschaft gelenkt haben. Zumindest wurde so der Versuch möglich, unabhängig und objektiv zu denken.

Und doch: Jeder Mensch ist geprägt. Auch eine Wissenschaftlerin stellt Fragen, die durch ihre Geschichte, ihre Prägungen und ihre Perspektive beeinflusst sind. Ich glaube, vollständige Objektivität ist eine Illusion.

Trotzdem glaube ich, dass genau dieser Weg uns dazu verholfen hat, immer mehr die Macht in uns selbst zu entdecken, statt sie im Außen zu suchen: in Naturgewalten, religiösen Systemen oder anderen Menschen. Die Ratio hat uns viel gegeben. Sie hat uns befreit. Und gleichzeitig hat sie uns in neue, unnatürliche Zwänge geführt.

RÜCKKEHR ZUR NATUR AUS FREIEM HERZEN

Heute wären wir rein technisch längst in der Lage, das Überleben der Menschheit zu sichern. Vorausgesetzt, wir zerstören nicht weiterhin unsere eigenen Lebensgrundlagen.

Vielleicht ist genau jetzt der Moment, unseren Fokus zu verändern: Statt der Natur trotzen zu wollen, könnten wir beginnen, uns aus freiem Willen wieder mit ihr zu verbinden. Nicht, weil wir ihr ausgeliefert sind. Sondern aus einer inneren Gewissheit heruas, dass wir Teil von ihr sind. Und weil wir spüren, dass es gut ist, mit ihr zu schwingen und zu tanzen.

Immer mehr Menschen – auch in der Wissenschaft – erkennen, dass Pflanzen, Tiere, Pilze und ganze Ökosysteme alles andere als primitiv sind.

Wenn wir uns vor Jahrhunderten auf den Weg gemacht haben, dieser vermeintlichen „Primitivität“ zu entfliehen, indem wir uns als etwas Höheres empfanden, dann dürfen wir uns heute getrost wieder integrieren. Denn wir beginnen zu erkennen, wie intelligent, komplex und feinfühlig das Netz des Lebens wirklich ist.

Wir können wieder beginnen, mit der Natur in einen echten Dialog zu treten. Nicht nur mit unserem Herzen, sondern auch mit unserem Verstand. Unsere Ratio und unsere Intuition dürfen sich gegenseitig ergänzen. Beide können uns Informationen schenken auf ganz unterschiedlichen Wegen.

Wenn wir uns darauf einlassen – nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft –, könnten sich viele notwendige Prozesse beschleunigen. Wir würden Möglichkeiten entdecken, das große Durcheinander zu ordnen: in uns und um uns herum. Denn so, wie es in unserem Inneren aussieht, spiegelt sich auch der Zustand der Welt. Wenn wir beginnen, mit der Erde wieder in Beziehung zu treten, verändert sich auch unsere Beziehung zu uns selbst und umgekehrt.

DER JAHRESKREIS ALS ENTWICKLUNGSHILFE

Eine kraftvolle Möglichkeit, wieder in Verbindung mit der Natur zu treten, ist das bewusste Feiern der Jahreskreisfeste. Wenn wir den Rhythmen der Natur folgen, wirkt sich das auf vielen Ebenen aus: auf unseren Körper, unseren Geist, unsere Seele.

Doch es geht nicht nur um unser persönliches Erleben. Seit jeher sind diese Feste auch eine Gelegenheit, mit den Geistern der Natur in Kontakt zu treten. Wir schenken ihnen unsere Dankbarkeit und pflegen unsere Beziehung zu ihnen.

Eine besonders schöne Tradition ist für mich das Erntedankfest: Nicht nur wir Menschen erhalten, was wir brauchen. Auch die Naturwesen bekommen ihren Anteil.

Wenn wir uns bewusst dem Jahreskreis zuwenden, können wir seine Kraft auf vielfältige Weise in unser Leben einladen. Wir stimmen uns ein auf Energien, die ohnehin gerade in der Natur, in uns selbst und im Jahreslauf schwingen.

So fällt es uns leichter, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen und gut für uns selbst zu sorgen. Vielleicht verstehen wir sogar unsere Kinder besser, weil wir die natürlichen Rhythmen hinter ihren Gefühlen und Verhaltensweisen erkennen.

Wir könnten diese natürlichen Energien auch für die Entwicklung unserer Arbeit und unserer Unternehmen nutzen.

So könnten wir unsere nach außen gerichteten Aktivitäten bewusst auf Frühjahr und Sommer legen und den Herbst und Winter dazu nutzen, zu reflektieren, loszulassen und Raum für kreative, vielleicht auch chaotische Prozesse zu öffnen. Prozesse, in denen neue Ideen geboren werden dürfen.

Wenn wir näher an die Natur rücken, können wir sie nicht mehr zerstören.
Denn wir spüren: Wir sind Teil von ihr.

Sei herzlich gegrüßt von

Tanja Richter


Über die Autorin:

Tanja Richter begleitet Menschen dabei, in die Tiefe ihres Wesens einzutauchen, sich selbst liebevoll zu begegnen und in Verbindung mit der geistigen Welt zu wachsen. Ihre Arbeit ist geerdet, klar und schöpft aus jahrzehntelanger Erfahrung mit schamanischen Wegen, spiritueller Praxis und innerer Meisterschaft.

Erfahre mehr über Tanja Richter und ihre Arbeit auf ihrer neuen Website:


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