Moralisches
In diesem Beitrag schneide ich ein sehr schwieriges Thema und möchte dich als erstes zu einer kleinen Übung einladen.
ACHTUNG: Diesen Beitrag halte ich nicht geeignet für Menschen, die Opfer einer traumatisierenden Erfahrung geworden sind, die sie noch nicht verarbeitet haben. Ich bitte dich, diesen Beitrag nicht zu lesen.
Leg oder setz dich bequem hin und schließe deine Augen. Atme ein in dein Herz und stelle dir beim Einatmen vor, wie alles, was du im Alltag von dir selbst verstreut hast, mit dem Atem wieder zu dir zurückfließt. Nimm wahr, wie du wieder zu dir kommst.
Beim Ausatmen formst du eine Energiekugel aus deinem Herzen heraus. Mit jedem Einatmen holst du dich zurück und mit jedem Ausatmen wird die Kugel größer, die du formst. Du bläst die Kugel quasi mit dir selbst auf.
Bald kommst du an den Punkt, da die Kugel deinen gesamten Körper umfasst. Mache weiter und lasse die Kugel wachsen, so dass deine Wohnung, das Haus, in dem du lebst, die angrenzenden Häuser, der gesamte Ort und vielleicht dein ganzes Land in dir sind.
Nimm wahr, dass all das du selbst bist. Du bist das Haus, in dem du lebst, du bist die Erde, auf der dein Haus steht. Du bist die Bäume, Vögel, die Luft … und all die anderen Menschen. Du bist die Liebe, die sich gegenseitig geschenkt wird, du bist auch der Frust, die Angst, die Aggression, der Täter, das Opfer. Schau dir alles an und lasse es in dir hin und her fließen, so gut du das kannst. Spüre nach, wie es dir damit geht.
Atme noch einmal tief ein und aus und komme ganz und gar zurück in deinen Körper, nimm bewusst wahr, wo du anfängst und wo du aufhörst.
Du wirst vermutlich merken, dass du bei dieser Übung recht schnell auf einen Widerstand stößt. Nämlich genau an den Stellen, die du ablehnst. In der Gesellschaft, in der du lebst, gibt es mit Sicherheit Menschen, die du kriminell nennen würden. Kannst du dich mit ihnen als eins identifizieren? Ich nehme an, du willst lieber eine Grenze zwischen dir und einem Menschen ziehen, den du als „böse“ bezeichnen würdest.
Und es ist ja auch so. Es gibt Menschen, die gewalttätig, hinterhältig, machtgierig, skrupellos und so weiter sind, alles das, was du nicht sein willst und sicherlich ablehnst. Kaum jemand trifft bewusst die Wahl, Täter sein zu wollen. Zumindest erlebe ich das so hier in Deutschland und heute im Jahr 2022.
Das Täter-Opfer-„Spiel“
Ich finde es unheimlich schwer, dieses Thema in Worte zu fassen. Doch aus meiner Sicht ist es wichtig und gehört es auch hierher, in einen Beitrag über das schamanische Weltbild, da die meisten Menschen wegen ihrer Seelenpein zu mir kommen und es bei diesen sehr häufig um Opfer-Täter-Strukturen geht.
Allein, wenn ich von einer Vorbereitung auf eine Inkarnation schreibe, sehe ich direkt vor mir, wie etliche Leserinnen und Leser von Empörung erfasst werden. ‚Ich soll mir freiwillig diese furchtbare Erfahrung ausgesucht haben?‘, denken sie. Ich kann dich nur bitten, offen zu bleiben und weiter zu lesen.
Ich muss recht weit ausholen, weil es so ein heikles Thema ist und mit sehr viel Achtsamkeit behandelt sein will.
Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, stand mein Berufswunsch fest. Ich wollte Zauberin werden. Ich wusste auch genau, was ich zaubern wollte! Ich wollte Frieden für die Welt und jede Menge Schokolade für mich selbst zaubern.
An diesen beiden Grundwünschen hat sich nichts geändert. Ich sehne mich nach einer friedlichen Welt, wobei meine Idee von Frieden weit über die Abwesenheit von Gewalt hinausgeht. Und die damals gewünschte Schokolade zeigt sich mir in Form von Süße des Lebens.
Meine Eltern haben mir diesen Berufswunsch ausgeredet. Sie meinten, man könne nicht zaubern, man könne nur tricksen. Doch es ging mir nie um weiße Kaninchen aus dem Hut.
Auch, wenn ich glaubte, ich könne keine Zauberin werden, habe ich mich auf die Suche nach dem Frieden gemacht. Etliches habe ich ausprobiert, bin viele Wege und Kringel gegangen. Nichts hat wirklich funktioniert.
Das Tätersein
Ich habe mir die Erde immer so angeschaut, als würde ich über ihr schweben. Ich sah, was die Menschen miteinander und mit der Natur machten und habe nicht verstanden, was das soll. Sie zerstör(t)en sich gegenseitig, zerstör(t)en die Natur, also ihre Lebensgrundlage, nur, damit sie eigenartige Bedürfnisse schnell befriedigen können. Ich wollte das nicht und wusste nie, wo ich mich da einfinden sollte.
Ganz sicher habe ich Schuldige und Opfer ausgemacht. Und ich gehörte meiner Meinung nach definitiv zu den Opfern.
Diese Sicht auf die Dinge und weitere Aspekte, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte, führten mich geradewegs in eine ausgewachsene Depression. Später wurde mir klar, dass die Depression meine Schamanenkrankheit war. Man kann nur weitergeben, was man selbst erfahren hat. Ich fühlte mich wie in einer Blase, fand keinen Zugang zu anderen Menschen und sah keinen Sinn im Leben.
Das ging so weit, dass ich morgens aufwachte und darüber nachdachte, wie meine Beerdigung zu organisieren sei. Ich wollte mir zwar nie aktiv das Leben nehmen, aber zum einen rauchte ich sehr viel, was eine gute Möglichkeit bietet, sich aus dem Leben zu nehmen und zum anderen hatte ich einfach das Gefühl, dass es schon irgendwie passieren würde.
Dann bekam ich meinen Warnschuss. Ich ging auf dem Bürgersteig an einer vierspurigen Straße, auf der 60 km/h erlaubt waren, entlang. Ein entgegenkommendes Auto wurde von der Fahrbahn gedrängt und wich auf den Bürgersteig aus. Es verfehlte mich um einen knappen Meter.
Einige Zeit später – ich arbeitete damals in einem Restaurant – stand ich am Tresen und wartete darauf, dass die Getränke für die Gäste fertig gemacht wurden. Und plötzlich spürte ich, wie ein Gedanke buchstäblich aus der Erde aufstieg und durch meine Füße bis in mein Gehirn floss. Der Gedanke war: ‚Nee, Tanja, du willst ja gar nicht sterben! Du willst nur anders leben.‘
Bald darauf traf ich auf die erste Schamanin meines Lebens und sie holte mir einen großen Teil meiner Seele wieder zu mir zurück, der schon dort war, „wo es so schön glitzert“.
Doch meine Sicht auf die Welt, auf die Strukturen und darauf was und wer gut und was und wer böse war, hatte sich keineswegs geändert. Ich hatte noch keinen Ausweg gefunden.
Von dem Buch „Gespräche mit Gott“ und dem Gedanken, dass alles eins sei, habe ich ja schon geschrieben. Nachdem ich dieses Buch gelesen hatte und auch schon ein paar Seelenanteile wieder zurück waren, war ich mal wieder frustriert und wütend auf die Welt, weil sie es mir so unglaublich schwer machte, in ihr zu leben.
Und dann stieg wieder ein Gedanke in mir auf: ‚Hm,‘ dachte ich, ‚wenn alles eins ist und ich alles bin, bin ich gerade wütend auf mich selbst.‘ Ich fand, dass das nicht sehr sinnvoll sei und begann, alle Strukturen, die ich vorher im Außen sah, in mir selbst zu suchen und zu lieben. Ich nahm mich selbst an, alles, was ich böse nannte.
So lernte ich, meine Täterseite in mir anzunehmen und zu lieben. In dieser Zeit kamen mir Erinnerungen an frühere Inkarnationen, in denen ich Täterin war. Ich war zum Teil so skrupellos und furchtbar, dass ich meine Geister fragte: „Wie soll ich mich denn jemals wieder lieben können?“ Ihre Antwort war kurz: „Tu’s einfach.“
Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir zugestand, dass ich trotz dessen, was ich getan hatte, meine eigene Liebe verdient hatte. Letzten Endes gibt es ja keine andere Wahl, wenn man mit sich selbst ins Reine kommen und Frieden schließen möchte. Damit hatte ich den ersten Teil des gesuchten Friedens gefunden.
Die Täterseite ist verbunden mit Schuld und Schuldgefühlen. Ich sprach mit der Wesenheit Schuld und verstand ihren Sinn und Zweck. Sie hat uns als Werkzeug gedient, uns als voneinander getrennte Wesen wahrzunehmen.
Wir wollten nichts mehr miteinander zu tun haben, wenn wir uns aneinander schuldig gemacht hatten. Wir stießen uns voneinander ab und waren absurderweise gleichzeitig durch diese Gefühle aneinandergefesselt. Die Schuld hat uns geholfen, die Erfahrungen der letzten Jahrtausende überhaupt machen zu können.
Das Opfersein
Doch selbstverständlich war ich nicht nur Täter. Ich hatte und habe auch lebendige Erinnerungen an Situationen, in denen ich Opfer geworden bin. Sowohl in früheren als auch in meiner aktuellen Inkarnation.
Ehrlich gesagt, fand ich diesen Teil in mir anzunehmen und mich nicht mehr als Opfer zu fühlen, deutlich schwieriger. Diese Seite ist verbunden mit Ohnmacht und die macht natürlich Angst und wütend.
Ich fragte meine Geister nach dem Weg aus diesem Opfergefühl. Die Antwort war ähnlich kurz und simpel, wie bei meiner Frage danach, wie ich mich je wieder selbst lieben können sollte.
Folgende Bilder bekam ich: Ich sah Jesus in der Hölle am Kreuz hängen. Dann stieg er einfach ab und ging weg. Und das war’s. Es gab auch keine weitere Antwort auf meine empörte Nachfrage, wie sie darauf kämen, dass das so einfach ginge.
Auch hier ist es offensichtlich so, dass es sich um eine Entscheidung handelt, sich nicht mehr als Opfer zu fühlen und loszulassen und eben Frieden zu machen.
Selbstverständlich bin ich bei diesem Prozess auch immer wieder an meine Grenzen gestoßen. Manch ein Gefühl wollte und wollte sich nicht ändern.
Doch meine Erfahrung mit den Geistern ist, dass es immer einen Weg gibt. Sie schenkten mir Informationen und Einsichten, die letztendlich dazu führten, dass sich auch die hartnäckigsten inneren Kämpfe in Frieden verwandeln konnten.
Eine sehr wichtige Information dabei war, dass mir meine Geister die größeren Zusammenhänge erklärten. Und das versuche ich jetzt für Sie in Worte zu fassen.
Das AllEs weiß, dass es alles ist und hat vor etlichen Milliarden Jahren (nach irdischen Zeitmaßstäben) den Wunsch verspürt, nicht nur zu wissen, sondern auch zu erfahren. Es überlegte, wie es denn eine solche Erfahrung machen könne und bekam eine Idee. AllEs war so hibbelig wegen seiner Idee, dass es vor lauter Freude platzte.
Manche Menschen nennen das heutzutage den Urknall. Auf diese Weise entstand so etwas wie Materie, die sich zu Formen versammelte. Es bildeten sich unzählige Welten und Erfahrungsräume. Ein solcher Erfahrungsraum ist die Erde. Sie ist ein ganz besonderer Raum, denn hier konnte das AllEs so etwas wie Gut und Böse, Täter und Opfer erfahren.
Es gab vorwitzige und mutige Teile in AllEs, die diese Erfahrung tatsächlich leben wollten. Sie planten miteinander, was sie sich gegenseitig antun wollten und welche möglichen Reaktionen es darauf alles geben könne. Gemeinsam erschufen, erforschten und erfuhren sie diesen Teil von AllEs.[1]
Dabei erfanden sie immer wieder neu, was gut und was böse sein sollte. Es ist z.B. noch nicht so lange her, dass es gut war, Frauen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, weil sie angeblich böse Hexen waren. Menschen wurden und werden immer wieder in Kriege geführt mit der Begründung, dass die eigene Seite die gute Seite sei.
Als böse werden Menschen bezeichnet, die andere bestehlen. Als böse werden selten die Strukturen bezeichnet, die dazu führen, dass Menschen tatsächlich so arm sind oder sich so fühlen, als wären sie so arm, dass sie andere bestehlen müssen. Das gilt übrigens auch für Reiche.
Wenn das Ziel Frieden ist
Es ist mir wichtig zu betonen, dass es mir nicht um das Schmälern vielleicht Ihrer Opfererfahrung geht! Es gibt Erfahrungen, die uns für lange Zeit traumatisieren. All die Gefühle und Gedanken, vielleicht sogar an Rache, gehören zum Prozess dazu. Ich achte deine Erfahrung und wünsche dir, dass es dir gelingt, deinen Weg zu finden, damit so umzugehen, dass du dennoch ein möglichst schönes Leben haben kannst.
Auf keinen Fall möchte ich, dass du glaubst, du seist selbst daran schuld. Es geht nicht darum, Schuld zu verteilen, sondern es geht mir darum, einen Weg zu finden, Frieden zu schließen, wenn du soweit bist. Das heißt auch, aus der Ohnmacht heraus zu kommen. Du nimmst dir die Macht über dein Leben zurück. Darum geht es mir und deswegen beschreibe ich diese Strukturen und die Sicht aus dem AllEs darauf.
Beziehungen und das Leben sind sehr häufig geprägt von solchen Opfer-Täter-Strukturen, die nicht traumatisierend sind, aber doch giftig und zerstörerisch. Das Einnehmen einer sehr anderen Perspektive auf eine solche Situation kann neue Wege eröffnen.
Vergebung
Oft liest man in spirituellen und auch psychologischen Büchern, dass wir vergeben sollen. Und so sind mir viele Menschen begegnet, die von sich meinten, sie hätten vergeben, doch ihre Gefühle sagten etwas ganz anderes.
Man kann sich selbst und man kann anderen vergeben. Von der Praxis, anderen vergeben zu wollen, halte ich nicht allzu viel und zwar aus zwei Gründen.
Zum einen gibt es aus Sicht des AllEs überhaupt nichts zu vergeben, denn da ist niemand, dem wir vergeben könnten außer uns selbst. Von Selbstvergebung halte ich im Übrigen sehr viel. Denn wenn wir das schaffen – und nach meiner Erfahrung kann das ein sehr herausforderndes Unterfangen sein –, dann dehnt sich das Gefühl der Vergebung automatisch auch auf andere Ichs aus.
Und zum anderen kann die Forderung nach Vergebung für andere zu weiterer Verletzung führen[2]. Manchmal wollen wir einfach nicht vergeben, sondern erst einmal, dass die Verletzung aufhört. Wenn das geschehen ist, brauchen wir unsere Zeit, um die Erfahrung und die damit verbundenen Gefühle zu verarbeiten. Das kann auch schon genügen.
Es gibt Menschen, die glauben, sie hätten vergeben, aber ihre Verletzung ist noch gar nicht geheilt. Wenn es denn so etwas wie Vergebung überhaupt gibt, dann geschieht sie nach meiner Erfahrung von allein. Wichtig finde ich, dass der verletzte Mensch sehr liebevoll und achtsam mit sich selbst ist und nicht wieder über die eigenen Grenzen geht.
Sehr hilfreich kann es hingegen sein, einen Täter zu verstehen, z.B. wenn es um die eigenen Eltern geht, aber auch in anderen Fällen. Wenn wir die Motive und die vielleicht auch vorangegangenen Verletzungen verstehen, die den Täter zu seiner Handlung bewegt haben, können wir weicher werden.
Ein Teil in uns kann die Täterin verstehen, respektieren und eventuell sogar wertschätzen und der andere Teil in uns kann sich um die eigene Verletzung kümmern. Bringen wir dem Täter und uns gegenüber ähnlich viel Achtsamkeit und Respekt auf, sind wir auf einem befreienden Weg.
[1] Hier findest du mein Büchlein “Der kleine Luftballon – ein schamanisches Märchen vom Ab- und Aufsteigen” als gedruckte Version.
[2] Es gibt einen schönen Vortrag „Wenn Vergeben zur Gewalt wird“ von Maria Sanchez auf YouTube dazu. Heute, am 03.09.2022 führt dieser Link dorthin: https://www.youtube.com/watch?v=t5Nkhik4yPo
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