Selbstliebe hat inzwischen ein gutes Image. Doch manche Menschen neigen noch immer dazu, sich selbst die Liebe zu verweigern. Sie befürchten, als narzisstisch oder egoistisch zu gelten. Daher gehe ich in diesem Kapitel auf Ähnlichkeiten und Unterschiede, Ursachen und Wirkungen von Narzissmus, Egoismus und Selbstliebe ein.
Narzissmus
Es gibt zwei Sichtweisen auf Narzissmus.
Eine Sichtweise besagt, dass Narzissmus ein Wesensmerkmal von Menschen wäre, das normal in der Bevölkerung verteilt sei. Eine normale Verteilung bedeutet, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein mittleres Maß an narzisstischen Merkmalen aufweist.1
Andere betrachten Narzissmus als eine Persönlichkeitsstörung und einen Mangel an Selbstwertgefühl, Empathie und Kritikfähigkeit.2
Ich selbst sehe Narzissmus als Folge eines Mangels. Der Mangel bleibt jedoch unbewusst. Ein narzisstischer Mensch versucht, diese Leere durch andere Menschen zu füllen. So ist er angewiesen auf die Bestätigung durch andere Menschen.
Bitte verstehe mich nicht falsch. Fast jeder Mensch braucht Bestätigung auch von außen. Wir sind soziale Wesen. Doch du kannst deine eigene Schöpferkraft leben, wenn du deine Bestätigung vorrangig aus dir selbst herausholst. Du kannst dich einfach an dem erfreuen, was du tust. Es gibt keinen Zwang zur Bestätigung von außen und das bedeutet Freiheit.
Narzissten versuchen ihren Mangel an Selbstliebe und Selbstwertgefühl durch übertriebene Eitelkeit und Selbstbewunderung zu kompensieren. Die Ursachen für einen solchen Mangel an Selbstwertgefühl liegen oft in der Kindheit und Jugend. Es gibt verschiedene Erziehungsstile, die die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeit begünstigen.
Narzissten haben es schwer, denn sie müssen sich selbst immer wieder die Bestätigung suchen, dass sie etwas Besonderes sind. Dazu benötigen sie andere Menschen. Gleichzeitig empfinden sie andere Menschen aber nicht als gleichwertig. Ein Kompliment kann ihnen also gar nicht die Bestätigung bringen, die sie brauchen. Von einem Menschen, der nicht so wichtig und besonders ist, wie der Narzisst selbst, zählt ein solches Kompliment nicht wirklich.
Narzissten haben es auch deswegen schwer, weil sie keine gleichberechtigten und erfüllenden Beziehungen eingehen können. Wieso sollten sie sich in einen anderen Menschen hineinfühlen, wenn der doch gar nicht so wichtig ist?
Aufgrund der Selbstüberhöhung finden sie nur selten Erlösung aus ihrem Dilemma. Sie sind davon überzeugt, mit ihnen sei alles in Ordnung und alle anderen sind komisch.
Der Begriff Narzissmus geht auf die griechische Sagengestalt Narziss zurück. Narziss war ein Jüngling, der sich in sein Spiegelbild verliebte.3 Doch Narzissmus hat mit Selbstliebe nichts zu tun. Im Gegenteil, Narzissmus beruht auf einem Mangel an dieser.
Egoismus
Unter Egoismus wird oft eigennütziges Verhalten verstanden. Der eigene Vorteil ist die Grundlage für das Handeln. Ein ausgewachsener Egoist geht dabei soweit, in Kauf zu nehmen, dass seine Entscheidungen, sein Handeln anderen schadet. Der Duden definiert Egoismus als eine: „Haltung, die gekennzeichnet ist durch das Streben nach Erlangung von Vorteilen für die eigene Person, nach Erfüllung der die eigene Person betreffenden Wünsche ohne Rücksicht auf die Ansprüche anderer.“4
Einen, wie ich finde, interessanten ersten Absatz zu Egoismus fand ich im Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik: „Egoismus ist kein psychologischer Fachterminus, sondern eher eine umgangssprachliche Beschreibung für ein Persönlichkeitsmerkmal. Wenn man einem Menschen Egoismus unterstellt, handelt es sich um eine persönliche Bewertung, die gebraucht wird, um dem anderen Schuldgefühle zu machen und zu erreichen, dass dieser seine Interessen zurücknimmt.“5
Damit sind wir auch schon bei der Herausforderung, die viele Menschen mit Egoismus haben. Zum einen können wir mit egoistischen Verhaltensweisen tatsächlich andere Menschen nicht nur verletzen, sondern ihnen wirklich schaden. Zum anderen gibt es einen gesellschaftlichen moralischen Zeigefinger, der da sagt: „Du sollst nicht egoistisch sein.“
Dass das Schaden anderer Menschen, Tiere, Pflanzen nichts mit Selbstliebe zu tun hat, ist wohl klar. Gerade aus dem Gefühl der Einheit allen Seins heraus, kann es nicht gut tun, anderen zu schaden. Diese Art Egoismus nenne ich übersteigert. Die Balance zwischen Ich und Wir gibt es nicht. Die Ziele eines übersteigert egoistischen Menschen dürften sehr kurzfristig sein. Die langfristigen Folgen betrachtet er dabei nicht.
Altruismus und Selbstlosigkeit sind das Gegenteil von Egoismus. Doch stimmt das? Gibt es so etwas wie Selbstlosigkeit und Altruismus tatsächlich? Kann ein Mensch wirklich rein selbstlose Ziele verfolgen? Ich glaube das nicht. Zumindest nicht langfristig.
Es gibt zum Beispiel ausgiebige Forschungen zum Thema egoistische Motive im Ehrenamt. Manche Menschen wollen ihre Einsamkeit durch Ehrenamt beenden. Andere Menschen wollen sich einfach nützlich fühlen. Und wieder andere Menschen hoffen, so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Wie ist es mit dir? Wie fühlst du dich, wenn du einem anderen Menschen hilfst? Untersuchungen zeigen, es macht glücklich, altruistisch zu sein. Findest du das ist ein egoistisches Motiv?
Egoismus ist nicht umgehbar. Und was daran sollte schlimm sein? Warum springen wir so sehr darauf an und bekommen Schuldgefühle, wenn wir egoistisch genannt werden?
Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. Mal abgesehen von der Erziehung, die wir genossen haben, sehen wir egoistisches Verhalten in der Welt, das anderen schadet. Wir sehen Konzerne, die rücksichtslos, nur auf ihren Profit bedacht sind und die Lebensgrundlage anderer Menschen zerstören. Wir sehen vielleicht auch Kollegen, die egoistisch ihren Weg in der Firma gehen. Es interessiert sie nicht, ob und wie sie anderen Menschen schaden. So wollen wir in der Regel nicht sein.
Wir haben evolutionär gelernt, dass wir in einer Gruppe besser überleben können als alleine. Um in einer Gruppe bestehen zu können, müssen wir manche eigenen Interessen hinter die der Gruppe stellen. Die Frage nach der Balance zwischen dem Ich und dem Wir behandele ich in einem anderen Kapitel ausführlicher.
Ein weiterer Aspekt ist die Moralkeule, die die Kirche über Jahrhunderte geschwungen hat. „Geben ist seliger denn nehmen“, nicht wahr?
Und vielleicht waren wir in einer oder in mehreren unserer Inkarnationen auch übertrieben egoistisch und rücksichtslos unterwegs. Es mag sein, dass wir daraufhin entschieden, nie wieder egoistisch handeln zu wollen. Das sind von uns unbemerkte Schuldgefühle, die ohnehin in unserem Unterbewusstsein wabern. Sie sorgen für entsprechende Resonanz, wenn jemand versucht, uns ein schlechtes Gewissen mit dem Vorwurf des Egoismus zu machen.
Gesunder Egoismus ist ein Teil der Selbstliebe. Das ist der Teil, der dafür sorgt, dass du nicht ausgenutzt und ausgebeutet wirst. Es ist auch der Teil, der dafür sorgt, dass du „nein“ sagst, wenn du „nein“ fühlst. Egoismus sorgt dafür, dass du deinen Weg gehst, auch, wenn andere Menschen dich daran hindern wollen, weil ihre eigenen egoistischen Bedürfnisse dann nicht mehr befriedigt werden.
Ich schrieb bereits, dass Selbstliebe gegebenenfalls bedeutet, das eigene Selbstbild ändern zu müssen. Wenn du also ein schlechtes Gewissen bekommst, weil du deinen eigenen Bedürfnissen folgst und ausreichend Raum schenkst, dann kannst du dich jetzt darauf freuen, Egoismus zu lernen und dazu zu stehen.
Selbstliebe
Wenn du dich selbst liebst, nimmst du dir vor allem einmal ausreichend Zeit, um dich kennen zu lernen. Du weißt, was deine Bedürfnisse sind und kannst sie unterscheiden zwischen kurzfristig und langfristig, wichtig und nicht so wichtig. Du kannst erspüren, ob ein Bedürfnis aus einer Angst resultiert oder ob es aus deiner Seele kommt. Und du hast Werkzeuge, die dir helfen, die für dich jetzt richtige Entscheidung zu treffen. Dabei schickt dich deine Seele auf Wege, die dich zu bestimmten Erfahrungen führen. Vielleicht führen diese Erfahrungen dazu, dass du dein ursprüngliches Bedürfnis loslassen kannst. Vielleicht findest du Erfüllung deiner Bedürfnisse.
Du kennst deine Art zu leben, was du bevorzugst und welche Art Menschen du um dich herum brauchst.
Selbstliebe stärkt dein Selbstwertgefühl, sorgt auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene für ausreichend und gesunde Nahrung. Sie bringt dich in Balance zwischen dem Ich und dem Wir. Das heißt, du kannst wahrnehmen, wann du trotz der anderen etwas tun oder lassen solltest und wann du wegen der anderen etwas tun oder auch lassen solltest.

Selbstliebe lehrt dich, wie du Zeiten der Einsamkeit meistern und Kraft aus dir selbst schöpfen kannst. Sie zeigt dir, wie du selbstvoll in der Welt wirksam werden kannst. Liebst du dich zutiefst selbst, fließt du über. Du bist ausreichend Kraft, Energie und Inspiration für andere Menschen, Tiere und Pflanzen.
Sie bringt dich auch in die Balance zwischen Gefühl und Verstand. In dir verbinden sich die Gegensätze und so wirst du Verbindung in der Welt. Du verlässt das Entweder-oder und gehst hinein in das Sowohl-als-auch. Du entwickelst Mitgefühl für dich selbst. Wie solltest du dann noch ohne Mitgefühl für deine Mitwelt sein können?
Nach und nach gleitest du in das Gefühl der Einheit allen Seins. Für dich wird es immer weniger möglich, narzisstisch oder übermäßig egoistisch zu sein bzw. zu handeln. Es wird für andere aber auch immer weniger möglich, dich auszunutzen und auszubeuten. Klarheit und Liebe werden deine Wegbegleiterinnen sein.
Doch was kannst du tun, wenn dir Narzissmus oder Egoismus unterstellt werden?
Du hast die Möglichkeit, dein Handeln zu begründen. Es zeugt von Achtsamkeit und Wertschätzung, wenn du dir Zeit nimmst und geduldig deine Beweggründe für deine Entscheidungen erklärst. Allein die Tatsache, dass du dich erklärst, unterscheidet dich bereits von einem Egoisten oder Narzissten, denn diese halten ihr Gegenüber selten einer Erklärung ihres Handelns für würdig. Der andere Mensch muss dein Handeln auch dann nicht toll finden, doch er hat zumindest die Möglichkeit, dich zu verstehen.
Vermutlich wirst du durch dein Handeln hin und wieder bei anderen Menschen alte Verletzungen berühren. Auch in einem solchen Fall kann Kommunikation sehr hilfreich sein. Und manchmal wirst du einfach akzeptieren müssen, dass du auch weiterhin als egoistisch oder als narzisstisch betrachtet wirst.
1 https://lexikon.stangl.eu/307/narzissmus/
3 https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOGNITIVEENTWICKLUNG/Narzissmus.shtml
4 https://www.duden.de/rechtschreibung/Egoismus