Das Märchen zum Nur-hören
Illustrationen und Musik siehe unten1
Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, wie am besten mit Fremdbesetzungen umzugehen sei. Als ich meine Antwort herunter schrieb, floss ein schamanisches Märchen aus meinen Fingern. Ich hoffe, es bringt dir Freude und Erinnerung.
Eine kleine Schöpfungsgeschichte oder die Erfindung des Vanilleeises
Es war einmal das Sein. Es wusste, es war alles oder auch das All-Es. Es gab nichts, was es nicht war und fand das großartig, wenn es überhaupt etwas fand. Seine Haupttätigkeit, wenn man so sagen will, war das reine Sein. Und so war es … und war … und war … über Ewigkeiten hinweg. Und so wie es nach etlichen Äonen mit dem reinen Sein immer der Fall ist, bekam es Lust! Es hatte Lust, nicht nur zu sein, sondern auch zu erfahren. Es wollte wissen, wie sich all das, was es war, anfühlte! Es wusste, dass es z.B. Vanilleeis war und auch, dass es schmeckt und gleichzeitig nicht schmeckt, doch es wollte den Geschmack von Vanilleeis nicht nur wissen, sondern eben schmecken.
Diese Idee fand All-Es unheimlich aufregend, All-Es fand seine Idee so aufregend, dass es seinen ersten Orgasmus bekam und vor lauter Freude und Ekstase einfach platzte. Dieser Moment in der Geschichte des Seins nennt All-Es auch gerne den Urknall und verwickelt sich selbst in heiße Diskussionen über unterschiedlichste Theorien darüber.
Aus seinen Einzelteilen entwickelten sich über die Jahrmilliarden Planeten, Sterne, Engel, Kobolde, Katzen, Dämonen, Menschen, Bäume, blauglibberige Schwabbeleien mit 12 Armen und andere tolle Wesen. Am Anfang waren sie alle noch etwas verwirrt, denn plötzlich war alles ganz anders als vorher und manche Wesen wussten, sie würden dereinst noch fester werden und sich materialisieren.
So probierten sie erst einmal aus, was sie konnten, welche Fähigkeiten sie hatten und stellten fest, dass sie wundervolle, schöpferische Kräfte hatten. Sie erschufen dieses und jenes und in jüngster Zeit auf dem Planeten Erde geschah es, dass das Vanilleeis erfunden wurde.
Die Wesen, die auf der Erde lebten, lebten lange in dem Bewusstsein, dass sie eins mit allem waren. Sie genossen, was sie waren und was sie konnten. Doch eines Tages kam ihnen eine vorwitzige Idee! Sie wollten die Dunkelheit erforschen, erfahren und erschaffen – das Dunkel des Vergessens und sie schmiedeten einen Plan. Manche nennen diesen Plan, den göttlichen Plan, doch das tun sie nur, weil sie vergessen haben, dass sie sich selbst in all diese Abenteuer verwickelt haben, durch die sie in den letzten Jahrtausenden gewandert sind.
Sie wussten, dass sie weder alleine ins Dunkel gehen konnten, noch alleine wieder dort heraus finden würden.
Dieses ist die Vorgeschichte und das “dicke Ende” kommt noch. Um über den Ab- und Aufstieg zu berichten, muss ich euch vom Luftballon auf dem Meer erzählen.

Die Geschichte vom kleinen Luftballon
Es war einmal ein Luftballon auf dem Meer. Er war voll und prall gefüllt mit Luft, so wie ein Luftballon es sein sollte. Doch unser Luftballon war ein neugieriges, kleines Kerlchen und wollte unbedingt wissen, wie es wohl unter Wasser aussehen mochte. Er hatte von Fischen gehört und Quallen – man sagte, manche Quallen seien so gut wie unsichtbar! –, von Korallen, Algen und Krabben. Wieder und wieder versuchte er, einen Blick unter die Wasseroberfläche zu erhaschen, doch es gelang ihm immer nur für Sekunden, die Zauberwelt unter sich zu sehen.
Eines Tages traf er auf einen Seeigel und er fragte den Igel, ob er ihm nicht ein paar Löcher in die Haut stechen könne. Auf diese Weise könne er die Luft aus sich heraus lassen und unter die Wasseroberfläche gelangen. Der Seeigel tat ihm den Gefallen. Und unser Luftballon ließ sich einfach in das dunkle Nass fallen.
Viele aufregende Abenteuer erlebte er dort. Er brauchte Mut, verliebte sich in ein Seepferdchen, erfuhr auch den Herzschmerz, denn mal ehrlich: ein Seepferdchen und ein Luftballon passen einfach nicht zusammen, genoss den Anblick und traf auf Tiefseewesen. Diese halfen ihm, noch weiter in die Tiefe zu gehen. Sie banden sich an ihn und zogen und zogen und zogen ihn mit hinunter.
Viele Jahrtausende verbrachte er in den Tiefen der Ozeane und vergaß nach und nach, dass er einst ein sehr luftiges Wesen gewesen war. Seine Haut war inzwischen vollkommen zerlöchert, fast schon zerfleddert. An ihn waren viele Tiefseewesen gebunden, die sich zum Teil noch verpflichtet fühlten, dem Luftballon zu helfen oder die aufregenden Erlebnisse unseres Luftballons auch so spannend fanden, dass sie nicht von ihm loslassen wollten. Und unser kleiner Luftballon wurde immer müder. Er hatte langsam keine Kraft und keine Lust mehr. Er wollte sich einfach irgendwo hinlegen und schlafen, die Welt um sich herum vergessen, denn die kannte er inzwischen und war ihm beschwerlich geworden. Er hatte keinen Spaß mehr an seinem Leben.

Doch sein Leben ließ ihn nicht in Ruhe. Er fand keinen Platz, der gemütlich genug war, traf auf Quallen, die ihm erstaunliche Dinge über den Himmel und die Sonne, die Wolken und den Wind berichteten. Zuerst meinte er, er höre einfach nur Stimmen, denn die Quallen waren sehr durchsichtig und es fiel ihm schwer, sie zu sehen. Doch dann schaute er immer genauer hin. Sie erzählten ihm, dass es da, wo der Wind wehte, noch andere Luftballons geben würde. Es gab die Neugier noch in ihm. Und so begann er, sich zu informieren. Er suchte Meerhexen auf und fragte sie, wo denn die Sonne sei und der Wind wehen würde.
Er bekam zum Teil verwirrende Antworten. Es gab Hexen, die hatten die Sonne nie selbst gesehen, nur davon gehört. Es gab welche, die ursprünglich aus dem Meer kamen und schon mal ihre Nase aus dem Wasser gehalten hatten und es gab welche, die ursprünglich früher einmal auf dem Land gelebt hatten und den Wind, die Sonne und die Wolken sehr gut kannten und genau wie er selbst einfach mal eine Weile im Ozean leben wollten. Manche von ihnen begannen unter Umständen selbst schon zu vergessen, wie es an der Oberfläche war.
Oft verirrte er sich und fand seine Suche sehr anstrengend. Bis ihn eines Tages eine der Hexen darauf hinwies, dass er in sich noch eine letzte kleine Luftblase hatte. Wenn er dieser folgen würde, würde er seinen Weg schnell finden. Und so spürte der Luftballon tief in sich hinein. Doch erst merkte er vor allem all die Löcher in seiner Haut, die ihn schmerzten und all die Tiefseewesen, die ihn herunter zogen. Also bat er als erstes diese Wesen, ihn wieder loszulassen. Er erklärte ihnen, dass er gerne wieder nach Hause wolle, wo auch immer das sei und bedankte sich bei ihnen, weil sie ihm so schön geholfen hatten. Und auch die Wesen bedankten sich bei ihm, weil sie mit ihm so tolle Abenteuer erlebt hatten. Manche fanden es schade, dass sie ihn loslassen sollten, sahen aber dann doch ein, dass es besser wäre, ihn gehen zu lassen, weil er einfach alle und leer war. Mit ihm würden sie nichts Neues mehr erfahren. Bei den ganz Hartnäckigen, bat er die eine oder andere Meerhexe, ihm einmal zu helfen. Manche der Wesen, sah er gar nicht, weil die an seinem Rücken hingen. Wie gut auch, dass es immer wieder glänzende Flächen gab, die ihm als Spiegel dienen konnten!
Manchmal überkamen ihn Schuldgefühle, dass er sich auf all das überhaupt eingelassen hatte. Doch dann schaute er auf all seine Erfahrungen und das, was er erlebt hatte, zurück und wusste wieder, warum er damals voller Vorfreude Löcher in seine Haut pieksen ließ, auch wenn er nicht gewusst hatte, wie anstrengend es werden würde.
Als er endlich irgendwann frei von allen Tiefseewesen war, begann er, sich zu fragen, wie er wohl seine Löcher wieder flicken konnte. Er suchte eine ganze Weile, bis er eine Meerhexe fand, die verstand, mit den Elementen umzugehen. Sie sagte ihm, dass er sich einmal auflösen müsse und dann neu zusammengesetzt würde. Es würde sehr heiß werden und vielleicht auch ein wenig weh tun. Er hatte ein wenig Angst, doch er wollte unbedingt wieder fliegen. Und so ließ er sich auf seinen Transformationsprozess ein. Wieder gab er sich einfach hin, so wie damals, als er sich fallen ließ.
Die Meerhexe rief also die Elemente zu sich und bat sie, dem kleinen Luftballon zu helfen. Und so gaben die Elemente ihm, was sie zu geben hatten. Die Erde gab ihm neue Materie, den Stoff, aus dem er gemacht war, das Feuer verschmolz diese Materie, so dass er wieder ganz war, das Wasser kühlte ihn ab und die Luft füllte ihn und – schelmisch wie sie ist – packte sie ihm ein wenig mehr Helium in ihn hinein, als er es früher in seinem inneren Gemisch hatte. Die Luft kannte den kleinen Luftballon gut und wusste, dass er Abenteuer liebte.

Als der Luftballon aus seinem Prozess wieder aufwachte, spürte er deutlich, dass etwas anders war. Er fühlte sich so frisch und leicht, wie er sich nie zuvor gefühlt hatte. Es trieb ihn immer weiter nach oben, so dass er kaum Zeit hatte, sich bei allen zu bedanken. Manchmal wurde ihm fast ein bisschen schwindelig. Die Hexe und die Elemente winkten ihm freundlich hinterher. Sie wussten ja, dass der Luftballon genauso ein Teil des Ganzen war, wie sie selbst und dass er all die Abenteuer auch für sie erlebte. Sie waren ihm genauso dankbar wie er ihnen.
Bald war unser kleiner Luftballon an der Wasseroberfläche angelangt. Auf seinem Weg dorthin traf er auf alte Bekannte, auch auf den Seeigel, der ihm einst die Löcher in die Haut gestochen hatte. Auch ihm rief er ein Danke zu und war aber glücklich, endlich wieder eine schöne glatte und heile Haut zu haben. Ein bisschen schämte er sich, weil er den Seeigel so manches Mal zum Teufel schicken wollte, als es ihm so schlecht ging. Doch er sah den Igel glücklich und zufrieden einfach sein Leben leben und ließ auch diese Scham einfach los.
Endlich an der frischen Luft angekommen, genoss er den Wind und spürte wieder die vertrauten, warmen Strahlen der Sonne. Er machte sich bereit, sein altes Leben zu leben.
Doch was war das?
Er blieb nicht einfach nur an der Wasseroberfläche. Nein, er stieg weiter nach oben! Die Luft lachte ihm entgegen und sagte ihm, dass er nun neue spannende Abenteuer erleben würde, wenn er denn wolle. Sie könne aber auch dafür sorgen, dass er einfach auf der Wasseroberfläche bleiben würde, denn schließlich war sie nicht nur außerhalb von ihm, sondern ebenso in ihm und wenn er sie bäte, dann würde sie sich ein wenig schwerer in ihm machen.

Der Luftballon musste nicht lange überlegen! Er genoss es, durch die Luft gewirbelt zu werden, auf Vögel zu treffen, den Regenbogen hinauf zu schliddern! Bald gesellte sich auch eine fröhliche Luftballonine zu ihm und er traf dort oben auf Engel. Die erinnerten ihn irgendwie an die Quallen im Meer. Sie erzählten ihm …

Das dicke Ende
Die Menschen wussten, dass sie genauso verloren sein würden, wie der Luftballon sich gefühlt hatte. Und so baten sie die anderen Wesen, die nicht mit in das Vergessen gehen würden, gut auf sie aufzupassen und ihnen nach ein paar Tausend Jahren zu helfen, sich wieder zu erinnern, wer sie waren und woher sie kamen. Diese Wesen versprachen, immer für die Menschen da zu sein, solange sie sie brauchten. Sie waren stolz auf die Menschen, denn ihnen war klar, wie mutig es war, sich selbst komplett zu vergessen. Und sie waren dankbar, denn die Menschen hatten ihnen versprochen, all die Erfahrungen in großen Bibliotheken allen Wesen zugänglich zu machen. So manches Kino hat im Multiversum inzwischen eröffnet, wo sich andere Teile des Ganzen, die Lebensfilme der Menschen anschauen und es spannend finden, mehr über das Leben an sich und auf der Erde im Speziellen zu erfahren. Oft waren sie heilfroh, dass nicht sie all das erleben mussten, zumal sie schließlich ihre eigenen Abenteuer erlebten.
Nachdem die Menschen nun also festgestellt hatten, dass Vanilleeis zwar manchen Menschen schmeckt, aber doch auch nicht jedem, hatten sie eines über ihre Kreation gelernt: der übermäßige Konsum macht vor allem dick!
Und so endet nun das Zeitalter des Vanilleeises. Sie – also wir – haben es vollkommen erforscht, erfahren und ausgekostet.
Doch wie die Menschen und das All-Es nun mal so sind … es gibt ja noch die Geschichte des Schokoladeneises.

Ein kleiner Nachtrag
Unter den erwähnten Meerhexen gibt es vermutlich auch männliche. Es kann aber sein, dass sie ggf. auch geschlechtsneutral sind. Man munkelt so etwas …
… die Armen!

Noch ein kleiner Nachtrag
Meine Geister zeigten mir vor etlichen Jahren im Traum tatsächlich eine leere Packung Vanilleeis aus der Tiefkühltruhe.

Danke,
dass du dich mit uns allen und auch mit dem kleinen Luftballon in die Tiefe gestürzt hast! Ich wünsche dir einen leichten und fluffigen Aufstieg.
Hab’ keine Angst, die Wesen anzuschauen, die dir ganz persönlich geholfen haben, dich selbst zu vergessen, auch, wenn diese sich vielleicht gruselig und unangenehm anfühlen. Das ist ihre Aufgabe. Meistens reicht es, freundlich mit ihnen zu kommunizieren. Selten braucht es ein wenig Nachdruck.
Und wenn du merkst, dass einige an Stellen in deinem Energiesystem sitzen, wo du selbst nicht in der Lage bist, genau hinzuschauen, suche dir einen Schamanen oder eine Schamanin deines Vertrauens.
Mein Dank geht auch an die Künstlerin Susanne Stute, die die Illustrationen für dieses kleine Märchen gezeichnet hat. Ich spüre in jedem der Bilder die Liebe, die durch ihre Finger und Stifte fließt.
Es grüßt dich herzlich
Tanja Richter
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Taschenbuch: Der kleine Luftballon – ein schamanisches Märchen vom Ab- und Aufsteigen5,60 €
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Die Illustrationen sind von Susanne Stute.
Die Musik ist von
Music: Dreamy Easy Piano by MusicLFiles
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Music: Deep Ocean by Frank Schroeter
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Music: Star Dreams Loop [Loop] by MusicLFiles
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